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Tourrealismus vs. Arkadien

Man spürt es in Genua, in Florenz und noch mehr in Venedig: den Eindruck einer aristokratischen Stadt, die dem Pöbel in die Hände gefallen ist.
Guy de Maupassent

Der französische Erzähler gilt als objektiv, sein Naturalismus als unbestechlich, da stimmt er kein Loblied an angesichts der verruchten Schönheit in der verrufenen Lagunenstadt. Doch leicht war Venice ehedem nicht zu haben, wo ihre Durchlaucht nicht genügte, sondern nur ihre Durchlauchtigste: La Serenissima – und Knicks! Die damals Größte und Mächtigste, ja die Schönste: Venedig höchstselbst – und Diener, Handkuss! Das Centro Storico gebaut auf 100 Inseln und Inselchen – und Kniefall! Reich, betörend, das Zentrum des Abendlandes – die Augen nieder! Doch Schluss mit der Demut, genug der Huldigungen angesichts des Heute! Da lässt sich ihre Drlt. La Serenissima zu Pauschalpreisen herab, verkauft sich all inclusive für Klimpergeld an Fremde. 15 bis 20 Millionen Touristen pro Jahr sorgen dafür, dass Venedig der Banalisierung entgegentaumelt und ihre Bewohner, die Veneziani, die Flucht ergreifen oder davongejagt werden, es gibt auch an der Adria kein richtiges Leben im falschen – und Schlussakkord, in h-Moll!

Schon dem berühmtesten Deutschen in Arkadien schien die Büchse der Pandora weit geöffnet, der allseits verehrte Herr Geheimrat bringt es in ausgeprägt analytischer Reinheit auf den Punkt: dolce vita, und dann? Vielleicht ahnte der Klassiker der Italienreisenden da schon den Fremdenverkehrsbazillus, das touristische Inferno, den Müßiggang der Massen, Menschen im Urlaub, die sich als tödliches Virus für die Lagunenstadt entpuppen würden.

»Von Venedig ist schon viel erzählt und gedruckt. Was sich mir aber vor allem andern aufdringt, ist abermals das Volk, eine große Masse, kein notwendiges, ein willkürliches Dasein.« Johann Wolfgang von Goethe