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Asphaltrauschen

Die Wahrheit liegt auf der Straße

Die Pop Art hat wie kein anderer Stil The American Way of Life beeinflusst; Surfer und Skater haben in den 60er Jahren Jugendkultur und Protestbewegung geprägt. Aus zwei mach‘ eins: Lässig und locker, bunt und schrill, Moves und Posing fütterten der amerikanischen Ikonographie Modetrends für eine zeitgemäße visuelle Erscheinung. Sticker und Aufkleber zierten zuerst Bretter und Boards zwischen West- und Ostküste. En vogue zu Wasser und zu Land, blitzschnell, artistisch und rasant, vom Sound her lässig und entspannt, das Drumherum bald weltbekannt: „Jesus, wie er den rechten Fuß vorn, auf einem grob gehauenen Brett mit Ausleger, das an ein Kruzifix gemahnen sollte, durch die Wellen fuhr. Was war das „Auf-dem-Wasser-Gehen“ anderes als Bibelsprache für Surfen?“ (Thomas Pynchon)

Wendig und geschickt überholte das Business die Surfer und Skater, der Kommerz befreite sich aus der Schwerkraft von Meeresrauschen und Asphaltbrandung und machte das geile Ding zum Mainstream. Das gesamte Equipment, Boards, Neoprenanzüge, Klamotten, Schuhe, Helme – Logos, Sticker, Aufnäher – die Szene geriet in Bewegung, surfte auf der Erfolgswelle, überstürzte sich in gefräßiger Gischt: „Selbstmörderische Markenloyalität nennt man sowas, Mann, ein tiefsinniges Gleichnis auf den Konsumkapitalismus, die sind erst zufrieden, wenn sie uns alle auf den Regalen des Supermarktes Amerika aufgestapelt haben, und unterbewusst, das ist das Schreckliche, wollen wir auch, dass sie das tun“ (wieder Pynchon). Wie eine strahlende Morgenröte stieg die Street-Art aus den Fluten, Graffiti und Straßenmalerei saugten Stil, Tonfall, Haltung des Surf Cosmos auf, ritten Erfolgswelle um Erfolgswelle, pumpten neue visuelle Energie in den Markt bis heute. Auch die Klebebildchen gingen auf Höhenflüge, gepusht vom neuen Lebensgefühl, brachen in eine halluzinierende, knallbunte Farbwelt auf. Kein Wunder, dass Warhol, Rauschenburg, Lichtenstein, Rosenquist oder Oldenburg explodierten, die gesamte amerikanische Hall of Fame des Pop als künstlerische Ausdrucksform durchging, von „Business you don’t like“ oder „Cut price, you know what that’ll make you be“ abratend, es galt das Credo des Paradieses backstage: „Sex and Drugs and Rock and Roll, is very good indeed” (Ian Dury).

Kunst, Grafik, Musik, Hand in Hand im gelobten Land – im guten, alten Europa dagegen soll’s politisch sein, klebrig sowieso, demokratisch und urban zugehen, vor allem aber ebenso free and easy: „‘ne Art von Widerstand“ (Dudda, taz) gegen das Einerlei der kommerziellen Machtergreifung. Die Anhängerschaft wächst, die kreative Glut eskaliert, auf der Leinwand ihrer Freiflächen brennt die Stadt lichterloh. Die Subkultur wächst im Off-Space heran, als Aktionsraum, Abenteuerspielplatz, ein Jahrmarkt zur Ausschüttung von Adrenalin. Ein Zirkus der großen, wahren Gefühle, Trainingslager für Sprayer und Künstler, die nicht etabliert sind oder es nicht sein wollen. Postaufkleber, Kleinserien, noch schnell neben kommerziellen Druckaufträgen platziert – die Herstellung ist findig, flexibel, reaktiv: „Was wäre ich denn sonst – außer Konsument?“ (Bild, taz). Auf das Leben ohne Straße, auf Ruhm und Ehre oder Geld haben es die wenigsten abgesehen. Galerien, Agenturen, Marketing sind nach wie vor mehr als verdächtig. In den Medien der subversiven Kommunikation gilt zuallererst: bloß kein Kommerz! Es lebe die Anarchie der Straße!

„Die Betextung des öffentlichen Raums“ nennt Christine Domke (Kampf ums Überkleben, SZ) diese Oberfläche. Die Straße schreit ihr Ding laut raus in den öffentlichen Raum, formuliert ihre Schlagworte, plakativ, stilsicher, provozierend, alles, was der ausgewogenen öffentlichen Meinung bestimmt nicht in den Kram passt. Auf den ersten Blick bleibt vieles rätselhaft, kommt schlicht und einfach oder auch ausgeklügelt und geistreich rüber: ein Tritt in den Arsch des Denkens und volle Breitseite für den Verstand. Als Marschroute, den Horizont zu erweitern, Aufforderung, ins Hier und Jetzt zu schweifen, ein Appell, versteckt und elegant, um die Provokation zu kultivieren. Wenn Sie nicht selbst draufkommen, aufgepasst! Die Straße ist bekannt für ihre lange Nase, die sie dem Establishment zieht. Ihre Semiotik gibt sich rätselhaft und verwegen, einfach raffiniert und glatt gefährlich!