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Die Haut der Stadt

Metropoler Mikrokosmos

Die Oberfläche des menschlichen Körpers ist von Haut bedeckt (griech. derma; lat. cutis) und ist durchschnittlich 1,75 m² groß (Männer: ∅ 1,9 m², Frauen: ∅ 1,6 m²). Die Haut besteht aus mehreren Schichten und macht 15-20 % des Körpergewichts aus. Das größte und vielseitigste Organ des Menschen besitzt wichtige Stoffwechselfunktionen und Anpassungsmechanismen, schützt vor (UV-) Strahlung und anderen Umwelteinflüssen. Anders als das rudimentär erhaltene Fellkleid, das funktional nur noch als Fake den Körper bedeckt, ist es in der Tat die Haut inkl. Fettgewebe oder Schweißfilm, die isolierend wirkt, Wärme und Kälte regelt, die von außen einwirkt. Als Grenzorgan schützt die Haut auch vor Krankheitserregern, körperfremden Stoffen, andererseits aber auch vor dem Verlust körpereigener Substanzen wie etwa Elektrolyten, Proteinen oder Blut. Auf der Haut, genauer gesagt der „residenten Flora“ des Menschen, kauern meist kaum sichtbar auch jede Menge Bakterien, Pilze oder Insekten. Haut bildet den äußeren Teil des Menschen, die Oberfläche und den sichtbaren Teil des Körpers, hat unter den Primaten also auch wichtige kommunikative Aufgaben: als größtes Sinnesorgan (Schmerz, Tasten, Gänsehaut etc.), als repräsentative Oberfläche in bester Gesellschaft, um nonverbale Kommunikation zu ermöglichen (Erröten, Berührung, Intimzone etc.), täuschende Echtheit oder, na ja, glänzendes Selbstbewusstsein zu demonstrieren oder so.

So geht Wikipedia per Definition die Sache an, zumindest in gewohnt ernster, sachlich umfassender Manier. Tattoo-Studios, vielleicht in Berlin, sprächen von Material, von Untergrund oder auch passender Bildauflage, gerieten dann aber aus dem Häuschen und würden laut „Brandzeichen, Drumming, Picture Excess!!!“ schreien und im Nachsatz, halb ironisch, in zynischer Vernunft, eventuell die Wahrheit rauslassen: eyepollution. Das Urban Dictionary erklärt das Thema so: “Something, which is asthetically challenged and not pleasing to the eye, causes eyepollution. In simple english that is ugly.” Alles liegt also im Auge des Betrachters, genauso wie die Stadt selbst, in ihr Inneres lässt sich außer spekulativen Raunens nur schwerlich Licht bringen. Wo soll man also hingucken, damit man nicht ins Ungewisse blickt, wohin schauen, um Sichereres sagen zu können, woran lässt sich ungefähr auch etwas mehr festmachen über eyepollution, als nur von der Haut der Stadt zu sprechen?

Touristische Klischees, blödes Partygelaber oder Stadtmarketing-Scheiß, der die meisten mit Werbephrasen oder Übertreibungen in die Irre führt, gibt’s längst genug. Hippes Hier und angesagtes Dort verkleistern den klaren Blick aufs Jetzt, die Haut der Stadt ist immer Gegenwart: kapillare Blutgefäße, grobe Drüsen und feine Ausdünstungen, nervöse Rezeptoren und sensible Nervenenden, wandelbare Pigmentierung und satte Farbschichten, Horn und Stahl, schicker Schmuck, nützliche Retrovirik, Haar- und Federkleid, Parfümierung und winzige Bildchen. Um nicht schon wieder den Fokus zu verlieren und in beliebig kleine Form zu springen, in unbedeutende Facetten abzuschweifen, in keinem Fall jedoch wieder auf die Totale zurückzuspringen, nicht das Image, das nicht zu greifen ist und völlig zukleistert, wieder herauszukramen, auf Schablone, Stereotyp, Gemeinplatz, städtisches Flair das Augenmerk zu verlieren. Das Gegenmittel, um Taumel, Versinken, die Träume einer Stadt einzufangen, und so funktioniert eyepollution: iphone oder Brennweite ab 200 mm. Voll drauf, totaler Fokus, Close-up, Nahaufnahme für Nahaufnahme, hautnah. So lassen sich Sommersprossen, Gänsehaut, Schweißperlen erkennen, fingerspitzige Intimität, Zung‘ über Lipp‘, Ekstase der Großstadt nachvollziehen. Nur so geht eyepollution! Einfach mal was anderes als die fahrigen Farbprospekte der Fremdenverkehrsverbände und eintönigen Titelmelodien der Tourismusindustrie.