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Berlin ist (k)eine Marke

Der Eiszeit entfliehn fällt nicht leicht in Berlin – Marteria (aus: Tauchstation/Roswell)

„Der Müll, die Stadt und der Tod“ heißt das Theaterstück, das die deutschen 70er in ihren Grundfesten erschütterte. Provozierend und plakativ wickelt Rainer Werner Fassbinder in korrumpierten Figuren eine marode Stadt ab: zu viel Tumult für Frankfurt am Main damals, zu groß der Skandal für die gute alte Bundesrepublik.

Im wiedervereinigten Deutschland ist die Skandalnudel mal wieder Berlin, die Hauptstadt als Pannenprinz, Running Gag des Feuilletons, für Trendscouts längst auch kein cooler Geheimtipp mehr. Dennoch bleibt Berlin die Spielwiese für Underground und Subkultur, da ist die einzige deutsche Metropole ganz bei sich: streetmäßig globales Format, Champions League in urban culture, Rock ’n‘ Roll aufs Auge. Um den Puls der Zeit zu fühlen, dafür reicht ein Spaziergang auf dem Piefke-Trottoir. Die Stadt ist voll, aber nie langweilig. Eyepollution hält drauf, checkt die Dinge, die niemand wahrnimmt, ganz nah, auf der Straße, im öffentlichen Raum und macht sichtbar, was in Berlin wieder mal unentdeckt vor sich hin wuchert.

„The Image of a City“, eine Analyse des Architekten und Stadtplaners Kevin Lynch, misst die Stadt aus, durch kognitive Kriterien wie Einprägsamkeit, Lesbarkeit oder Vorstellbarkeit. So lässt sich Berlin als Stadt von Welt durchbuchstabieren, in formaler Struktur, mit praktischer Bedeutung, das preußische Potenzial hochrechnen, befüllt durch Emotion und Identität. Die Studie rekapituliert dennoch nur traditionelle Prinzipien der Urbanität, gibt nicht mehr her als Stadtplan as usual. Öffentlicher Raum, geschichtliche Bedeutung, kulturelle Funktion, soziale Dimension – ganz schön Fehlanzeige. Doch hier in Berlin, um Berlin und um Berlin herum findet die Auseinandersetzung mit Big City noch auf der Straße statt, wo das Spannungsfeld zwischen Mensch und Beton, Kommerz und Underground, Touristen und „Ick bin ein Börlina!“ aufklafft. Unbezahlbarer Moloch hier, alternative Modelle, New Work, Gesellschaft im Aufbruch dort. Berlin liegt immer unter dem Brennglas: die Stadt und ihre Akteure im Widerstreit, wo sich die Stadt zusammenrauft, am Schauplatz der Gesellschaft, genau dort, wo die Schweißnähte verlaufen. Seit den 60ern läuft in Berlin die unendliche Geschichte – zwischen Gut und Böse, Schönheit und Abscheulichkeit, an der Kante von vielleicht konkret und ziemlich phantastisch. Und dabei spielt eyepollution mit, unscheinbar und unbewusst, jedoch mittendrin, überall und voll dabei. Besonders prächtig präsentiert sich eyepollution im Fahrtwind als Street Art City, „…denn hier ist alles so schön, wir wollen alles sehn, in Berlin bei Na-a-a-a-acht“ (Bel Ami).

Berlin 2016/17