Nürnberg – Berlin
Schön war’s an der Spree
Schon zwei Jahrzehnte tu‘ ich so, als ob es mich nicht geben würde in dieser Stadt. Ich halt‘ mich raus, aus publiziell dünner Karoistik, bürgerlich biederer Monopolistik, engherzig bewahrter Poloptik. Niemandem etwas antun, aber auch mit niemand etwas zu tun haben, nicht mit hingeplagter provinzieller Anstrengung, gar keine klein gedachte Aufwallung und bloß nicht rechtsherum gestrickte Tradistik! Highlights hier und da, ganz klar. Aber die Wahrheit liegt an dieser Stelle ebenso wenig begraben wie der sprichwörtliche Hund. Und es hat sich wohl schon eher rumgesprochen, dass sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: in Bratwurscht City.
„Ich fühlte mich schon immer, als würde ich nicht dazu gehören“, beginnt Carrie Brownstein, durch Portlandia, die TV-Serie mit Fred Armisen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, die Erzählung über ihre Musikkarriere. In hrer Autobiografie mit dem Titel Modern Girl. Mein Leben mit Sleater Kinney holt sie 20 Jahre aus, wirft einen Blick zurück zum ersten Konzert, das die damals 11jährige besuchte. Madonna war auf ihrer Like a Virgin-Tour im Jahr 1985 im Paramount Theatre in Seattle zu Gast. Der Auftritt der heiligen Mutter des Pops veränderte das Leben der späteren Gitarristin und Sängerin der feministisch angehauchten Punkrockband von Grund auf und schuf „ein absolutes Hochgefühl, das für eine Weile alles überstrahlte. Egal wo ich hinsah, überall war Licht.“
Mehr Schatten als Licht, ein Ort, um in Ruhe zu leben, aber ein Zuhause, aus dem nicht nur ich zu fliehen pflege, so oft es mir möglich ist, stellt die Frankenmetropole dar. Hier flackert ein fadenscheiniger Geist umher, dass die Mauer außen um die Stadt herum die Bevölkerung längst nicht mehr beschützt, sondern vor der Außenwelt gefangen hält. Um eines festzuhalten: An der Noris ist es mir, da nimmt der Franke in typisch fränkischer Manier und gewählt borstiger Diktion kein Blatt vor den Mund, beim Allerwertesten lieber als in Piefke-Münix selbst bei Kaiserwetter. Andererseits gibt es hier aber nicht gerade eine Garantie für glückliche Tage. Nürnberg fühlt sich ein bisschen an wie Diaspora, die in einem ständigen Zustand aus zweiter Hand dahin zu vegetieren scheint. Bis weit hinaus ins hügelig bewaldete fränkische Land tönt es vom bröseligen Sandsteinfelsen der Kaiserburg: „Ach! Dass der fränkische Mensch so unglücklich sein muss!?“
Also nichts wie ab nach Berlin: erste Liga, nicht zweite, die alte Dame Hertha oder Köpenicker Kult bei der Eisernen Union statt der Glubb is a Depp, Stadt mal sechs, Einwohner mal sieben, Kultur mal zehn, wenn’s reicht, dreimal so viel Schulden, wenn’s noch stimmt, Kunst hoch 50, Nightlife tausendundeinmal, alles rein subjektiv sowieso. Nürnberger Tand gegen Berliner Schnauze, Brummbär sticht Reichsadler, Bart- und Kreativwirtschaft, nicht Bratwurstwirtschaft. Noch mehr Beweise!? Wenn ich aus Berlin zurück bin, atme ich auf, an meinem Rückzugsort in der Provinz. Im selben Atemzug verfalle ich aber der Depression: Das Ungeheuer Berlin macht Platz für den einfältigen Blick vom einsamen Felsen über der Noris. Nicht ganz ohne Substanz und nicht eben unwahr gibt’s postwendend eine SMS aus Berlin: „Na wieder zu Hause, Ihr Bratwürstchen!?“