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Venceremos

Das Böse frisst die Guten

„Wenn der Aufkleber eine einzigartige Situation im (Außen-) Raum erschafft, bei der auf die vorgefundene Situation Bezug genommen wird und diese Realität dann uminterpretiert werden kann, dann ist der Sticker Kunst“, bemüht sich Andreas Ulrich im art-Interview (07/2007), das kleine Schwesterchen der großen Street-Art-Stars aus der Schmuddelecke herauszuholen und auch ein klein wenig heiligzusprechen. Politik muss sein und Kunst auf jeden Fall, auch wenn einer nur just for fun Street-Design schafft und öffentlich blackboardet (jetzt, 01/2008). Dazu eine Prise Ironie, abstrakte oder konkrete Botschaft, spannend und kommunikativ. Sticker mit Anspruch sind systemkritisch und nehmen die triste Realität ihrer Umgebung als persönlichen Affront: Der öffentlichen Raum darf nicht den kommerziellen Usurpatoren und ihren Schutzinstanzen bei der öffentlicher Hand, den Strafverfolgungs- und Justizbehörden anheimfallen. Will man diesen Raum, der allen gehört, nutzen, gar mitgestalten, geht’s allzu oft, allzu schnell ab in die Illegalität. Sprichwörtlich also: Vorsicht Kunst! Kaltschnäuzige Marken und verzerrter Logoismus dagegen verdrängen Intelligenz und Inhalt, lassen Pluralität und künstlerischer Freiheit die Luft raus. Alles Hülle und Hohlheit, das verblödete Publikum aber glotzt und glotzt und grinst debil, grunzt und drückt den Like-Button.

Was bleibt sind Reservate, Spielplätze, Alibiclowns, nur Kopisten, die Street-Art adaptieren. Ihre Imitationen verraten den öffentlichen Raum, verscherbeln in einem Atemzug auch noch die Überzeugungen unabhängiger Street-Artisten. In Unterführungen, auf Schulhöfen, hinter Einkaufszentren werden Almosen an die Sprayer-Community verteilt. Museen und Galerien heucheln smart und liberal von Freiheit, wo doch nur risikolos vorab geprüfte, kunstmarkttaugliche Street-Art eingesperrt wird. Experimente, Kritik, die Aufklärung sind tot, es lebe also der Widerstand!? Selbst kritische Haltung, die eine feindliche Übernahme der Straße in die Sphäre der kommerziellen Gemeinschaftlichkeit ablehnt, gegen deren verblödende Dauerberieselung aufbegehrt, wird durch die Hintertür an der Nase herumgeführt, verdreht und anschaffen geschickt: „Lasst uns doch zum Beispiel einfach ‘mal cool und aufgeklärt über schlechte Werbung reden“, fordert eine Kampagne in L.A. (Oskoui+Oskoui). „Klebt unseren Skip Ad Sticker auf BADvertising, dokumentiert das und wir präsentieren eure Aktion dann auf unserem Blog, stellen es zusammen mit Euch an den digitalen Pranger.“