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Happy End in Friedrichshain

Kleine Geschichte des S(t)eh(l)ens

Juli 1979 – Mit 17 arbeitete ich bei der Müllabfuhr, das Geld reichte für die erste Kamera, eine Konica Autoreflex T4 (50 mm Hexagon-Objektiv, F 1.7). Ich knipste drauf los, was das Zeug hielt, bis kurz nach dem Abi. Dann flitzte in Amsterdam beim Frühstück eine Tasche, die genauso aussah wie meine und eigentlich im Auto lag, liegen sollte, plötzlich an mir vorbei. Auch als Fußballer, damals in Topform, hatte ich auf der Verfolgungsjagd gegen den Heimvorteil von Ajax, dem zweitschnellsten Läufer der Antike, und dessen Junkie-Panik keine Chance.

Februar 1986 – Die Pentax K2 (Soligor-Objektiv 28-200 mm) war eine treue und verlässliche Begleiterin in Afrika: schweres Gerät, ohne Autofokus, die Blende (AV-Modus) diente damals noch als „Pinsel des Fotografen“. Alles lief gut, bis im windigen Februar in der Sahara ein Sandsturm nach dem anderen Objektiv und Innenleben der K2 endgültig den Rest gaben.

März 2003 – Über Nacht hatte ich mir eine Nikon w35 (35 mm, 5-Zonen-Autofocus) angeschafft, dann konnte es losgehen, im R 21 Nevada 4/4 hinter einem LKW voller Hilfsgüter her in Richtung Burkina Faso. Im Zollhafen Radès in Tunis saßen wir drei Wochen fest, zwei weitere an der Grenze zu Algerien in Taleb Larbi. Gefühlt ein Jahr schaufelten wir den LKW samt Auflieger durch die steinigen Ebenen Südalgeriens und den Norden des Niger. Zeit genug, um das Fotografieren wieder neu zu lernen: wie der niederländische Grafiker Rob Nypels, der bei einem Atelierbrand alles verloren hatte und mit ganz kleinem analogem Kästchen wieder von vorne anfing. Dann lasen wir im Glutbecken zwischen Hoggar und Air Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste auf, wo damals der Bürgerkrieg tobte. Völlig abgerissen schlugen sich die Teenager in der Sahara durch, ohne Wasser und ohne Essen Richtung Norden zum Mittelmeer. So unvermutet unsere Begleiter in diesem Niemandsland aufgetaucht waren, so plötzlich waren sie auch wieder verschwanden. Meinen ivorischen Co-Piloten sah ich erst in Agadez wieder, die Nikon w35 hatte er da schon versetzt. Dafür hatte er neue Kleider und sah endlich wieder akzeptabel aus.

Juli 2015 – Endlich wieder in Berlin, doch der Hauptstadt-Trip beginnt gleich mit einer Hiobsbotschaft: Langfinger im Wixbus, meine D 7200 (Tamron 18-200 mm) ist weg. Vor Ort ist keiner zuständig, die Zentrale stundenlang nicht erreichbar, am Abend dann zuckt die AGB ihre Schultern: keine Haftung bei Diebstählen. Das Subunternehmen aus Baden-Württemberg kontaktiert zwar noch den Fahrer, meine Nikon aber bleibt verschwunden, auf Nimmerwiedersehen.

Juli 2016 – Hotel Zarenhof in Friedrichshain. Randale auf der anderen Seite der Karl-Marx-Allee. Die Polizei stürmt die Rigaer Straße 94, der Innensenator will mit einer Räumung im Wahlkampf punkten. Mit dem Smartphone, das ich von meiner Frau geerbt habe, stürze ich mich in den Trubel. Das Ding ist antiquiert und ganz schön angeschlagen, hat aber ganz eigenen Chic, vom Stil her ähnlich wie der IIc, 4400, Ipod nano oder Mac Mini. Das iPhone 4 ist aus natürlich Metall, äußerst stabil, schwer, liegt gut in der Hand. Ich sehe leider nicht mehr so gut wie vor 30 Jahren, muss ohnehin drauf auf die bunte Welt an Wänden und Hauseingängen, nah ran an das Chaos auf Schildern und Stromkästen. Ich torkle mitten hinein in Berlins Mikrokosmos, von Köpenick bis zum Bahnhof Zoo.