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Exkurs: Auswärtsspiel / Heimspiel

Projektionsflächen sind Opium für’s Volk

Für das fußballbegeisterte aber auch in diesem Sport nicht ungeübte Auge wartet in der Fremde häufig eine Überraschung, an Orten, an denen es sie kaum vermutet. Der Geißbock in der Bananenplantage auf La Palma, BFC Dynamo auf der Istiklâl Caddesi im Szeneviertel Beyoğlu, mitten in der Hochburg von Beşiktas, Spartak Moskau an Düsseldorfs langer Altbiertheke, Dynamo auf dem Kurfürstendamm, Celtic Clasgow am Centro Cultural de Belém, die BVB-Ultras sogar vis à vis des Bayn al Qasryn in Kairo, die Bayern unterhalb Sacré-Cœur am Montmartre in Paris. Schickeria-Aufkleber in München aber Fehlanzeige oder überklebt vom 60er Löwen der Giasinga Buam. Für die Straßenkommunikation ist Fußball ein gefundenes Fressen: einfache Botschaften, die Sprache kurz und knapp, martialisch, wie sich das für einen wilden Stamm und seine Mitglieder gehört, mit eigenem Schmuck und den blitzenden Trophäen, auf der Jagd nach Ruhm und Ehre, nach der Beute, dem Tor (Desmond Morris, in: Das Spiel). Sticker bieten die Chance, die Euphorie hinaus zu posaunen, dass jeder hören und sehen kann, wie die Anhänger ihr Team nach vorne pushen. Lokalrivalen, Intimfeinde, Hass-Gegner öffentlich zu demütigen, deutlich und abfällig in den eigenen Hymnen und Schmähgesängen zu bestrafen, auf Bahnhöfen, in Zügen oder den Stadien zu beleidigen.

In Berlin, das schon Zeiten ohne erste Liga erlebt hat, heißt der Straßenkampf zwischen den Fanstickern derzeit ganz klar und deutlich: Hertha vs. Union, Blau-Weiß gegen Rot-Weiß. Hertha also [noch: am Ende der Saison 22/23] erstklassig gegen eisern Union, Ex-Zwoote Liga und trotz Aufstieg Kultverein geblieben [ebda. deutlich an der Hertha vorbeigezogen, die 22/23 in die Zweitklassigkeit nicht abzustürzen droht, sondern vielleicht nicht einmal die Lizenz für die 2. Liga erhält, während die Eisernen sogar schon die Hand an der Meisterschale hatten und nicht ohne Grund von der Champions League träumen]. Die roten Köpenicker gewinnen auf der Straße immer mehr die Oberhand, mit einem Auge stets die blau-weißen Hertha-Aufkleber im Blick. Von Berlin bis Sachsen ist bekannt, das alles ist Hertha Land, aber Union ist in der City überlegen: Berlin ist Rot Weiss oder Haltet unsere Stadt sauber, in Berlin nur Union! Auch wir sind eure Hauptstadt, eisern, ihr Bauern. Dagegen stehen die Hertha-Fans auf Deutschlands geilste Milf, die alte Dame Hertha BSC! Und erstklassig auch und wegen: Scheiss Union! Dafür wirbt der Ex-Zweitligist und neuer Krösus in der Big City selbstbewusst: Hauptstadtkult und Tradition – erster Fußballclub Union! Eisern Union ist nie ohne Liebe, die Hertha-Sektion Suff dafür blau weiss ein Leben lang, unser aller Stolz und gibt allet für die Hertha, sonst nix und das im etepetete Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Köpenicker dagegen spielen seit 90 Jahren Fußball im Grünen und können in der Alten Försterei mit ihrem Virus mehr erleben. Die Hertha möchte aber ganz vorne mit dabei sein: eine Stadt, ein Team, ein Ziel, Mission erfüllt! Eine Treue, eine Leidenschaft, Union steht dafür Schulter an Schulter, dem Morgengrauen entgegen ziehen wir gegen den Wind. In Köpenick heißt es auf der Waldseite: Hey FC Union, stürme hinaus, unbequem, lebendig, unzertrennbar! Und die Herthaner lassen sich im zugigen Rund des Olympiastadions auf der Osttribüne ihre Liebe nicht nehmen, nicht von den Bullen (RB Leipzig) und nicht vom DFB. Die blau-weiße Hertha wird eben nie untergehn!