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Nur zu Fuß bleibt etwas von der Welt

Gehen ist schauen – sehen heißt denken

Berlin hat nicht nur einen Mittelpunkt, eine Mitte, sondern viele Wege führen zum Zentrum, in welches auch immer, sei es in Kreuzberg, Friedrichshain, Wedding, Moabit oder Zoologischer Garten, in Wilmersdorf, Charlottenburg, Prenzelberg, Köpenick, Tempelhof oder Neukölln, Spandau, Pankow, Tiergarten oder Zehlendorf, Treptow, Weißensee, Steglitz, Schöneberg oder Marzahn, Lichtenberg, Hellersdorf und Hohenschönhausen. Zu Beginn der 20er Jahre wurden über 20 Kommunen zusammengelegt zu Groß-Berlin. Im Handumdrehen entstand eine Metropole im märkischen Sand, die in ihrer Vielgestalt von heute auf morgen in eine Liga katapultiert wurde mit Paris, London oder New York.

Amédée de Kermel schwört zwar in ihrer Beschreibung Les passages de Paris: „Der Flaneur kann überall geboren sein, leben kann er nur in Paris.“ Aber dieses Bekenntnis ist 19. Jahrhundert. Warenhäuser, Konsumtempel, Schaufenster, Läden, Restaurants und Cafés ziehen überall die Massen an – Menschen gehen in die Stadt, schauen, was die City so zu bieten hat, bummeln über Boulevards und durch Passagen. Walter Benjamin, Philosoph, Pathetiker und Exil-Pariser, wandelt in seinem epochalen Passagen-Werk auf den Spuren des Ideals, Charles Baudelaire, und macht deutlich, wie die Geschichte ausgeht: „Das Wissen des Flaneurs steht der Geheimwissenschaft von der Konjunktur nahe. Er ist der in das Reich des Konsumenten ausgeschickte Kundschafter des Kapitalisten.“

Auf einem Spaziergang von Köpenick zum Bahnhof Zoo widmet sich der Flaneur weniger dem Marxismus Benjamins und kaum noch städtischem Kapitalistismus und Konsum. Er erkundet vielmehr die Stadt, ganz tief drin, wo sie am kleinsten ist, sich aber auch am vielfältigsten zeigt. Auf der Jagd nach eyepollution geht er an vielen Dingen vorbei, passiert Großartiges und Absonderliches, Alltägliches und Gemeines. Er schaut sich um und denkt über die Zeit und ihre Moden nach, betrachtet Kunst und Künstlichkeit, sondiert Geschmack und Kultur, konzentriert sich auf komplexe Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Denken und Erkennen. Und kommt dabei immer wieder gerne auf Benjamin zurück: „Moden sind ein Medikament, das die verhängnisvollen Wirkungen des Vergessens, im kollektiven Maßstab, kompensieren soll. Je kurzlebiger eine Zeit, desto mehr ist sie an der Mode ausgerichtet.“