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5. Homunculus vs. Technosphere

Homunculus vs. Technosphere

Wahrnehmung verändert Wahrheit

1967 – Beuys‘ soziale Plastik, dass jeder Mensch ein Künstler sei, erweitert den Kunstbegriff und pumpt „Honig in die Politik“: Jeder ist in der Lage, Leben und Gesellschaft selbst zu formen. Im 21. Jahrhundert wird Beuys‘ These wahr, wenn auch anders, als es sich der Mann in Fett und Filz hätte träumen lassen. Sein Alter Ego Andy Warhol ist da näher dran: Die Gesellschaft formt und strukturiert sich bunt, hysterisch, flüchtig, „15 minutes of fame“ geben ihr Struktur und Form. Die Technik eines Metallkästchens hat „unsere Lebenswelt grundsätzlich verändert und die menschliche Triebstruktur umgestülpt.“ (Meike Fessmann, SZ, 24.02.2017).

2007 – „Nicht viele, die den Apparat benutzen, wissen, welche Verheerungen einst sein Erscheinen in den Familien verursacht hat“ (Walter Benjamin, Berliner Kindheit um 1900). Das Telefon regiert die Welt! Fotos, Videos, Internet kann heute jedes Kind, bis ins letzte Kaff. Mit dem iPhone ins WWW, in Echtzeit überall präsent, immer voll auf Insta, mit einer Aufmerksamkeitsspanne bis zum nächsten Klick. Anke Engelke ist da längst raus: „Ich habe gar kein Smartphone“. Die zynische Replik von Claire Beermann: „Man kann das süß und achtsam finden, wie Flaschenpost oder Kutsche fahren. Aber auch harmlose Radikalität hat leider immer etwas leicht Behämmertes.“ (ZEITmagazin 11/22)

2013 – Jürgen Teller, selbsternannter Technik-Depp, hält die Metaphysik hoch: “Ich will niemals Sklave der Technologie sein. Wenn alle Leute dauernd jeden Scheiß fotografieren – was für Fotos soll ich dann eigentlich noch machen? Was ist eigentlich noch ein Foto?“ (Welt, 19.07.2013)

2014 – Aber das Rad der Geschichte will auch er nicht zurückdrehen: „And it was like, oh my God, this is amazing. When I’m excited, that’s my aesthetic. I realized why all these people use digital: It’s so easy to take a good picture.” (Purple.FR, issue 21).

2022 – Damit hat sich auch das Kunstwerk erledigt, die Frage nach Original oder Kopie, echt oder gefaked!? Lieber schnelles Internet! Posten, Output, totale Entäußerung – ist das nun schon die soziale Skulptur, von der Beuys spricht? Die technische Struktur hinter der Oberfläche nimmt den Konsumenten ins Visier, hält ihn fest, bewirbt ihn gezielt, steigert so seine Zahlungsbereitschaft. „Personalisierte Ausspielung schafft Relevanz. Das ist letztlich auch der Schlüssel bei der Monetarisierung“ (Holger Meinzer, Microsoft Deutschland, journalist*in, 3/22). Rosige Aussichten für Big Data und KI als nächstes Billion-Dollar-Digi-Thing. Dabei wäre es schon ein Riesenfortschritt, wenn die User im Straßenverkehr nicht ständig aufs Smartphone glotzen würden.

Anmerkung des Autors: Es tut mir leid, dass ich den Text, der früher dastand, gekürzt und gerafft habe. Auch die klare Attitüde, so in Richtung kritisch realistischer Krimskrams, musste dran glauben: Schluss mit dem weinerlichen Geschnatter! No more bitching and moaning! Da der Schreibende immer irgendetwas Geschriebenes im Kopf hat, im Umgang mit den eigenen Früchten alles andere als wählerisch, also her mit dem Text und ein Lifting verpasst. Überhaupt notwendig wurde das, weil ich einen Beitrag für ein INSTA-Projekt benötigt habe. Anlass waren die sogenannten „texttage.nuernberg“. Das sieht doch alles ganz schön netzmäßig aus, dabei sagt jeder, der das Internet kennt und sich darin bewegt: „Bloß nicht zu viel Text!“ Manche Netz-Professionelle warnen sogar: „Höchstens kurzer, am besten gar kein Text!“ Der für Geld Schreibende weiß auch von vorgegebener Textlänge ein Lied zu singen. Und weil das auf Instagram inklusive Blanks höchstens 2.200 Zeichen sind, muss man sich kurz halten. So ist das im Internet. Wer auf Ontologie und Erkenntnistheorie, auf die Praxis des gesunden Menschenverstandes und dessen Überprüfung durch die Wissenschaft hinsichtlich der neuen Technik und deren Geräte und der Folgen, wenn man das ganze elektronische Zeug nutzt, nicht verzichten möchte, hier der letzte Abschnitt des alten, also des vorherigen, die neuen Technologien hinterfragenden Schlussabschnitts.

Juli 2017 – Damit haben sich auch gleich die Unterschiede zwischen Original und Kopie verabschiedet. Echtheit oder Fälschung, Urfassung oder Plagiat, Autor oder Rezipient – total egal! Knipsen, Posten, ich, ich, ich, ohne Stillstand, unaufhaltsamer Output, amorphe Gischt, die nicht mehr unterscheidet, nur noch die totale Entäußerung. Verbale und visuelle Codes zwischen Bearbeitung und Manipulation, variabel und austauschbar. Kommunikative Standards in ständiger Auflösung, durch nicht fassbare soziale, politische oder technisch-gestalterische Neuerungen upgedated. Grenzenlose Möglichkeiten, in Echtzeit, direkter Draht in das weltumspannende Netz. Mikroskopisch kleine Technik und globale Netzwerke verändern das Weltbild, die Interdependenz zwischen Individuum und Masse: Lüge oder Wahrheit, von wegen! Lieber schnelles Internet und superschnelle Interaktion! Die Bilderwelt explodiert, Instagram und TikTok überschwemmen das Gedächtnis der Menschheit. Musik, Mode, Hype und Ekstase surfen auf der Oberfläche, sind auf einen Klick verfügbar und verändern sich im nächsten Augenblick wieder, im Strudel der Neuigkeiten und des angeblich immer Neuen. Der Mensch ist ohne Smartphone nichts. Das Metallkästchen fungiert in der gegenwärtigen Phase des Maschinenzeitalters als Verlängerung des menschlichen Geistes, verkürzt aber die Aufmerksamkeitsspanne unserer Kinder gewaltig, dimmt die Imagination enorm herunter. Mehr noch, es spielt Schicksal und wird an der Abschaffung des Menschen beteiligt sein (Fessmann s.o.). Denn das Mobi ist dem Menschen alles. Und der Mensch ist nichts im Angesicht von Algorithmus und künstlicher Intelligenz.